ALTE SORTEN – Von Wiener Butterhäuptln, Langen Schwarzen und Gartenmelden

Die Aufregung über den Entwurf zu einer neuen EU-Saatgutverordnung hat die Aufmerksamkeit für alte, seltene Gemüsesorten erhöht. Noch mehr private Gärtnerinnen und Gärtner wollen sie nun durch Anpflanzen und Vermehren über die Zeiten rettenDieser Artikel erschien im März-Heft des Universum Magazins, Text: Peter A. Krobath

 

Auf den zwei Tischen befinden sich unfrankierte Briefkuverts,  selbstgefaltete Stanitzel, zweckentfremdete Gewürzstreuer, eine Holzschachtel mit daumengroßen Phiolen. All die Behältnisse sind handbeschriftet, teils grobkantig wie ein Volksschulheft, dann wieder kunstvoll verschnörkelt. Rund zehn Menschen, großteils Frauen, umrunden die Ausstellung, begutachten sie mit Augen und Fingern, und unterhalten sich angeregt. Da ist vom „optimalen Standort“ die Rede, dort von einem „frechen Maulwurf“, auf der andern Seite fällt plötzlich der Satz „Ich hab für die Jungfrau im Grünen eine Tüte Mädchenaugen bekommen.“

Geschieht hier etwas Kriminelles?Seidling_Andrea_7723

„Wir verdienen ja kein Geld damit“, rechtfertigt sich die eine. „So ein Gesetz, das uns das verbietet, wäre ein absoluter Schwachsinn. Genau deswegen machen wir das hier, um dem entgegen zu wirken“, erklärt die andere. „Das hier“ findet in den Räumen der Gebietsbetreuung im 20. Wiener Gemeindebezirk statt und nennt sich „Saatgut-Tauschbörse“. Dergleichen geht in Österreich zwischen Februar und April vielerorts über die Bühne (Termine unten), wobei im Kontext von Studierenden neben dem Tauschen meist auch das Schenken im Titel steht. Ob getauscht oder geschenkt: Bei so einem Treffen wechselt im Vorfeld der Hausgarten- und Gemeinschaftsfeld-Saison selbst gewonnenes Saatgut von Blumen, Gemüse und Getreide unkompliziert die Besitzer – eine Selbstverständlichkeit mit wahrscheinlich tausendjähriger Tradition.

Schenken verboten?

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Auf den Gesetzesbruch angesprochen, wissen die hier anwesenden Gärtnerinnen und Gärtner sofort, wovon die Rede ist: Vom Entwurf zu einer neuen EU-Saatgutverordnung.Die sorgt seit einem Jahr nicht nur in der Gardening-Szene für Aufregung. In Österreich sprachen sich sämtliche Parteien gegen diesen Gesetzesvorschlag aus, der mit einem teuren und aufwändigen Zulassungsverfahren in Sachen Saatgut die großen Konzerne mit ihren Hybridsorten bevorzugen und die Vielfalt der Saaten, insbesondere die seltenen Sorten gefährden würde. Aber nicht nur über die Zulassungen für den Markt machte man sich beim europäischen Verbraucherschutz Gedanken – laut Artikel 3, Absatz 5 sollen auch die „anderen Formen der Weitergabe“ vom neuen Registrierungsprozedere betroffen sein:

“… das Bereithaltenzum Zwecke des Verkaufs innerhalb der Union, einschließlich des Anbietens zum Verkauf oder jeder anderen Form der Weitergabe, sowie Verkauf, Vertrieb, Einfuhr in die und Ausfuhr aus der Union und andere Formen der Weitergabe, unabhängig davon, ob entgeltlich oder unentgeltlich; in Bezug auf bäuerliche Saatgutproduktion.”

Nach dieser Vorlage würde das Wir-verdienen-ja-kein-Geld-damit-Argument das rege Treiben in der Gebietsbetreuung also nicht legalisieren. Werden die des „Sorteneinheitsbreis müden Gartenmenschen“ in Zukunft wirklich gezwungen sein, in den Untergrund zu gehen, wie es die Garten-Autorin Ute Woltron kämpferisch ankündigte? „Mit verdeckten Codes würden wir agieren, Samensäckchen würden unter den Tischen die Runde machen. Eingeweihte würden es flüstern hören: Ochsenherzsamen da, Chilitomatensaatgut dort. Und wir würden all die prächtigen alten Sorten weiter ziehen, weiter vermehren, weiterhin über die Zeiten retten“, so Woltron auf ihrem Blog (www.utewoltron.at).Boku-Gärten3

Nach der großen öffentlichen Entrüstung (vor allem in Österreich und Deutschland) ruderte EU-Verbraucherschutzkommissar Tonio Borg zurück, sprach von Missverständnissen. Die EU wolle den Tausch alter Sorten nicht untersagen, sagte er. Doch der umstrittene EU-Entwurf ist damit nicht vom Tisch, die Entscheidung darüber ist vorerst nur aufgeschoben. Selbst wenn das EU-Parlament den Entwurf am 11. März zurückweisen sollte, könnte die Kommission darauf beharren und schließlich dem neu gewählten Parlament dieselben Papiere auf den Tisch legen. (Anm. 25. März: Die Ablehnung im EU-Parlament ist mittlerweile erfolgt, mit 511 Stimmen zu 130 Stimmen. Diese Deutlichkeit lässt hoffen, dass dieser Entwurf nun politisch wirklich tot ist – wie die Pressesprecherin von Arche Noah sagt.)

Die Gartenmelde

Auf unserer Tauschbörse zieht gerade ein anderes Thema die Aufmerksamkeit aller auf sich: die Gartenmelde. Eine der Freizeitgärtnerinnen hat diese alte europäische Spinatpflanze im Vorjahr für sich neu entdeckt. „Die ist zufällig aufgegangen auf unserem Blumenspitz, ich hab mich dann erkundigt und da hat es geheißen, das ist eine Gartenmelde. Eine spektakuläre Pflanze, zwei Meter hoch! Und seit kurzem ist ja Quinoa so ein Hype in der Küche, und wir importieren das extra aus Peru, dabei ist das fast dasselbe. Nur in Südamerika essen sie die Samen und bei uns die Blätter.“ Die jungen Blätter kann man roh zum Salat essen und die älteren Blätter als Spinat, ergänzt eine andere Besucherin. Die Gartenmelde schmecke ihr jedenfalls besser als der „echte“ Spinat, die Blätter seien feiner und milder.

Die Gartenmelde hat ihre Heimat in Europa und im Orient, und schon eine lange Nutzungsgeschichte auf den Blättern: Bereits im klassischen Griechenland wurde sie nachweislich angebaut. Bis ins 11. Jh. hinein wird die Gartenmelde (auch „Chrysolachanon“, Goldgemüse genannt) in alten Schriften immer wieder erwähnt, nicht zuletzt wegen ihrer Heilkraft. Im Spätmittelalter verschwindet sie allmählich aus der Literatur und aus den Gärten, zugunsten des Spinats.

Seidling_Andrea_7675Überlebt hat die Gartenmelde vor allem in rumänischen Hausgärten, je nach Region in grünen oder roten Lokalsorten. Das Arche Noah Sortenarchiv und der auf biologisch-dynamische Züchtungen spezialisierte Betrieb ReinSaat bieten unter anderem die „Gartenmelde Rubinrot“ an. Ihre Kultivierung ist unkompliziert, die erste Aussaat kann so früh wie möglich erfolgen, sobald der Boden im Februar oder März offen ist. Durch ihre Schnellwüchsigkeit erhält man rasch große Mengen vom Nahversorger Nutzgarten. In Supermärkten wird man die Melde vergeblich suchen, da ihre Blätter bei einer Lagerung rasch welken.

Five Colours Mangold

Als in Wien vor einigen Jahren das Gärtnern schick wurde und die alten Sorten plötzlich in aller Munde waren, kam ihr das seltsam vor, irgendwie übertrieben, erzählt Renate Ablinger. „Typisch Städter, hab ich mir gedacht, aus allem machen sie eine große Geschichte. Weil für mich war das ganz normal, die blauen Kohlrabi und die Pastinaken, die hab ich von daheim gekannt und im eigenen Garten stehen, die begleiten mich schon das ganze Leben.“

Das Gärtnern lernte die Organisationsleiterin des Filmarchiv Austria in ihrer Kindheit, im 300 m2 großen Selbstversorgergarten ihrer Mutter, in Weißenbach am Attersee. „Den Gartenspirit haben wir von der Mama. Wir Kinder haben überall mittun dürfen. Und mit dem Saatgut, das meine Mutter von den Gurken und den Kürbissen selber gezogen hat, haben wir dann im Herbst gespielt, und im Frühling haben wir es angesetzt.“ Nicht alles Saatgut kehrte in den Garten zurück. Vor allem die violetten und schwarzen Bohnen schienen wie geschaffen dafür, ihre Karriere in der Modebranche fortzusetzen – als Perlen selbstgemachter Ketten.

Die mittlerweile 86jährige Mutter gärtnert noch immer und so wechseln diverse Ableger und selbst vermehrte Samen nach wie vor zwischen dem Salzkammergut und Wien hin und her, wobei das Wiener Saatgut mittlerweile auch aus dem Garten des Filmarchivs stammt. Der nennt sich „Bürgergarten“ und entstand im Frühjahr 2010 aus der Protestbewegung gegen die Verbauung des benachbarten Augartenspitz. Ablinger: „Wie die letzten Besetzer von den Bäumen runtergeschnitten waren, haben meine Kollegin und ich vor unserem Büro das erste Beet angelegt. Wenn sie schon die Menschen brutal vertreiben, dann versuchen wie eben mit Pflanzen den Platz zu besetzen.“Seidling_Andrea_7693

Auf Fotos der 1950er Jahre ist zu sehen, dass die Wirtschaftsgebäude des Schloss Augarten, in welchen heute das Filmarchiv untergebracht ist, schon früher von Selbstversorgergärten umgeben waren. Angesteckt von Renate Ablingers „Gartenspirit“ haben rund 70 Bürgerinnen hier wieder eine urbane Nahversorgung aufgebaut. Das Saatgut wird teils selbst kultiviert, teils bei der Arche Noah und ReinSaat gekauft. Der Blockbuster des Vorjahrs: Five Colours Mangold. „Der ist gut keimfähig, unkompliziert, robust und schmeckt sehr gut. Wenn du die äußeren Blätter wegnimmst und das Herz stehen lässt, treibt er immer wieder aus und du kannst so das ganze Jahr Mangold ernten.“

Saatgut als Commons

Mangold Five Colours, Gartenmelde Rubinrot, Andenbeere Schönbrunner Gold, Feuerbohne aus Ober-Wolfsbach, Flaschenkürbis Schalmeienklang, Dattelweintomate, Chili Gelbe Kirschen – die Wiederentdeckung von alten und seltenen (oft nicht oder nicht mehr registrierten) Sorten in den neuen Nutzgärten hat nicht nur kulinarische Gründe. Diese sogenannten Hausgarten- oder Hofsorten haben eine weitaus größere Varibilität als moderne Sorten, sie sind an die lokalen Ökosysteme angepasst und sind ein lebendiges Statement gegen die Einfalt der großen Agrarkonzerne und für die große Vielfalt der Kulturpflanzen.

Com-SaatgutDie Nutzpflanzen sind eine gemeinsame Kulturleistung der Menschheit, ein Commons, das weiterhin allen Menschen zugänglich sein sollte, fordern zahlreiche Initiativen weltweit. Als Commons werden Ressourcen bezeichnet, die bestimmten Menschen so wichtig sind, dass sie sich selbst darum kümmern wollen, ohne Profitstreben, jenseits von Markt und Staat. Damit sind sowohl natürliche Ressourcen gemeint wie Wasser, fruchtbarer Boden, Energieträger, Artenvielfalt oder die Stabilität des Klima, als auch kulturelle und soziale Ressourcen wie Bildung, Kunst, Sprachen, Forschungsergebnisse, Internet, Wohnraum oder der öffentliche Raum. Weltweite Aufmerksamkeit erhielt das Thema durch den Wirtschaftsnobelpreis für die Commons-Forscherin Elinor Ostrom im Jahr 2009.

„Was haben Saatgut und Software gemeinsam?“ pflegt die Commons-Fachfrau Silke Helfrich von der Heinrich-Böll-Stiftung bei ihren Vorträgen zu fragen. Die Antwort: Saatgut ist heute ein ähnlich „vermachteter“ und kontrollierter Bereich wie Software. Doch bei beiden kann man sich entscheiden, sie zur Ware oder zum Commons zu machen. Wobei es mit der Entscheidung für die Commons-Variante noch nicht getan ist: Diese muss erkämpft und verteidigt werden.

Auch die Hindernisse bei Software und Saatgut sind vergleichbar, der Kopierschutz auf der einen Seite mit der Genetic Use Restriction Technology (GURT) auf der anderen, also mit der Technologie, welche die zentrale Funktion des Saatguts (nämlich zu keimen, Leben zu spenden) unterbindet, so dass man es im nächsten Jahr nicht mehr aussäen kann, und neu kaufen muss.

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Neben dieser Einschränkung der Fruchtbarkeit des Saatguts durch Gentechnik und Hybridisierung, gefährden das Patentieren von (auch konventionellen) Pflanzen, die radikale Monopolisierung auf dem Saatgutmarkt und eine (schon vor dem aktuellen EU-Entwurf) restriktive Saatgutgesetzgebung die Vielfalt unserer Nutzpflanzen. So sind im Laufe des 20. Jahrhunderts bereits 75 % der Kulturpflanzenvielfalt unwiederbringlich verschwunden, wobei es sich hier sowohl um Arten als auch um Sorten handelt. (Mehr zum Thema Commons HIER und DA )

Wiener Butterhäuptl

Doch nun die gute Nachricht: Ebenso wie die Vielfalt verschwinden kann, kann sie auch wieder neu entstehen. Eine, die sich tatkräftig darum kümmert, dass die Menschen die gärtnerische Pflanzenzüchtung wieder selbst in die Hand nehmen, ist die Wiener Garten- und Landschaftsarchitektin Eva Vesovnik.DSC_0256

Sie ist nicht nur eine anerkannte Vermehrerin für den Erhalt der im Archiv der Arche Noah am Leben erhaltenen Sorten, sondern kümmert sich auch um ihre eigene Saatgut-Samenbank mit rund 700 verschiedenen Arten und Sorten in ihrem kleinen Haus in der Wiener Freihof-Siedlung. Hinter diesem Haus blüht übrigens der schönste und vielfältigste Waldgarten der Stadt, auch wenn das der Vorstand der Siedlungsunion-Genossenschaft ein wenig misstrauisch beäugt.

Zurück zur Samenbank: „Ich schreib mir auch immer auf, wem ich was gebe und achte drauf, dass ich etwas von dem weitervermehrten Saatgut wieder zurückbekomme“, erzählt Vesovnik. Einige Gemeinschafts- und Schulgärten in Wien bekamen ihren ersten Grundstock aus diesem Archiv. Vielfalt ist nicht nur in den mäusesicheren Samenboxen angesagt, sondern auch bei den Projektideen der Garten-Aktivistin. Einer ihrer Pläne für heuer: Das Initiieren eines Samensaatgut-Vermehrungsgarten in der Lobau.

1377 Sonnenmangold_0001Dort sollen speziell alte Sorten aus dem Wiener Raum vermehrt werden. So können sich Besonderheiten wie das Wiener Breindl (Weißkraut), das Wiener Dauerrot (Rotkraut), der Große Böhm (Mohn), das Wiener Wachs (Gemüsepaprika), die Wiener Lange Schwarze (Rote Rübe), der Wiener Butterhäuptl (Butterkopfsalat) oder die Wiener Große Stummerer (Tomate)  weiter ans Wiener Klima anpassen und ihre gewonnenen Eigenschaften optimal nutzen. (Näheres zu alten Wiener Sorten HIER S. 13 – 15)

 

TIPPS:

Biologisches Saatgut alter Gemüsesorten erhält mensch in Österreich u. a. bei www.arche-noah.at , www.reinsaat.at , www.ochsenherz.at , www.samenfest.at

 

30. März, ab 14:00, 1. Floridsdorfer Saatgut-Tauschfest im Grünen Büro (Brünner Str. 26-32) -Samen und Pflanzgut tauschen, Verkauf von Bio-Saatgut, Frühlingsbuffet, Vortrag über Saatgut und EU-Saatgutverordnung, Seedbombs basteln – mehr HIER

11. – 13. April, 9:30 – 18 Uhr, JungpflanzenMarkt von ARCHE NOAH im Rahmen der Raritätenbörse, Botanischer Garten Wien, Rennweg 14, 1030 Wien — Termine für die anderen Bundesländer HIERIMG_9897

Die nächsten Pflanzentauschbörsen der Gebietsbetreuungen:

24. April, 8. Bezirk, Pfeilgasse 3, 15 – 20 Uhr

25. April, 18. Bezirk, Aumannplatz, 14 – 18 Uhr

26. April, 17. Bezirk, Dornerplatz, 8:30 – 13:30

 

Standardwerk für die, welche die Kunst des Pflanzenvermehrens erlernen wollen:

Andrea Heistinger, Handbuch der Samengärtnerei, Löwenzahn Verlag

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  1. […] Zum einen im Hof des benachbarten Filmarchivs, durch Anlegen eines „Bürgergartens“: „Wenn sie schon die Menschen brutal vertreiben, dann versuchen wir eben mit Pflanzen den Platz zu besetzen“, erzählt Renate Ablinger dazu im Stadtfrucht-Artikel über Alte Sorten. […]



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