Der Baum, der sich prachtvoll schämt

Amphitheater beim Seiteneingang des Hörsaalzentrums im Uni Campus Altes AKH, Hof 2. (Text und Fotos: Peter A. Krobath)

Plötzlich zwängt ein Mann seinen Bauch zwischen den beiden Stangen des Holzzauns hindurch, der den Grünabschnitt vor herunter purzelnden Studierenden schützt. Mit der rechten Hand hält er sich fest, in der linken zwei spitze Eisenstangen und eine Axt. Dann stolpert er durch das bodennahe Gestrüpp zwei Meter hangabwärts, sucht neben einem kleinen kniehohen Bäumchen Halt und beginnt mit der Arbeit: Eine Eisenstange schlägt er knapp oberhalb der Jungpflanze in den Boden, die andere setzt er unterhalb an, lässt es aber bleiben.DSC_0025

Nein, eine muss reichen, sagt er. Nicht in ein Selbstgespräch verstrickt, sondern er sagt es zu uns, weil wir haben ihn natürlich gleich gefragt, was er da vorhat? Mit der Axt?! Und: Ob er denn das Stahl-Mobile des Kinetik-Künstler George Rickey umschlagen wolle? Zum Beispiel um sich an Carl Djerassi zu rächen, der dieses ruhelose Kunstwerk gesponsert hat? Weil er, der Axtmann, Djerassi, den sogenannten Vater der Pille, für seine Vater- und Großvaterlosigkeit, an der er nun im Alter zunehmend leide, verantwortlich mache? Oder, anderes Beispiel: Ob er dochhoffentlichnicht gedenke oder in einer Gedankenlosigkeit vorhabe, über uns herzufallen und auf uns herumzuhacken, ganz unmetaphorisch?DSC_0068

Wir hatten nicht die Zeit, all diese weiteren Fragen zu stellen, nicht einmal uns selbst, weil der gute Mann schon nach der ersten Frage freimütig erzählte, was er da tut. Er rettet die Sprösslinge des Judasbaumes, die sich hier in diesem kältegeschützten Halbrund angesiedelt haben. Er schützt sie vor dem Gärtner. Ohne Eisenstange würde der Gärtner sie übersehen und abmähen. Ob er Biologe sei, fragen wir nun. Nein, ich bin hier der Pförtner, sagt er. Aber er interessiere sich für Pflanzen allgemein und für die Judasbäume speziell, denn die  seien ausnehmend schön und bei uns eher selten.

DSC_0070Die Judasbaumsamen, die hier – Djerassi kann da nix dafür – auf fruchtbaren Boden fielen, haben keinen weiten Weg hinter sich, vielleicht 20 Meter Spatzenflugzickzacklinie. Denn dort, auf der Wiese, steht ein uraltes zehnstämmiges Prachtexemplar, ein Cercis siliquastrum L., gepflanzt vermutlich im 18. Jahrhundert, ein amtlich deklariertes Naturdenkmal – wahrscheinlich der älteste Judasbaum in ganz Europa, sagt der biophile Pförtner.

Im Frühling erleuchtet der Judasbaum mit seinen prächtigen, rosa Blüten für rund eine Woche den Hof 2 des Uni Campus im Alten AKH. DSC_0028Besonders auch: Die Blüten sprießen direkt aus der Rinde des Stammes (was nur wenige tropische Gehölze können). Der Baum würde vor Scham rot anlaufen, erzählt die Legende, weil sich Judas Iskarioth an einem derartigen Baum erhängt hätte. Die Geschichte stimmt eher nicht (der französische Name l´ arbre de Judée heißt nämlich so viel wie der Baum aus Judäa, und wer die Legende über die Judasohren-Pilze kennt, weiß, dass sich der Verräter aus dem Jesus-Klan an einem Holunderbaum aufgeknüpft hat) aber sie ist zu gut, um sie nicht weiter zu erzählen.

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(Der passende Hyperlink zum letzten Bild:  Lasst die Kinder raus!)

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One Response to “Der Baum, der sich prachtvoll schämt”
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  1. […] Dem wunderschön dunkelrosa blühenden, zehnstämmigen Judasbaum im Hof 3 des Uni-Campus im Alten AKH haben wir bereits 2014 eine Geschichte gewidmet: https://stadtfruchtwien.wordpress.com/2014/05/07/der-baum-der-sich-prachtvoll-schamt/ […]



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