Quitten, Kriecherln und Blühendes Konfekt

Dieser Artikel entstand im Auftrag des Universum Magazins und erschien dort in der Ausgabe vom November 2012 – Text: Peter A. Krobath, Fotos: Barbara Krobath

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In der globalisierten Welt wird mitunter das Regionale zum Exotischen – Über Quitten im städtischen Park, einen  Verein zur Rettung des „Waldviertler Kriecherl“ und blühendes Konfekt, dessen besonderer Geschmack am Wegrand gedeiht.

Kann man Geld essen? Nein, würden die meisten spontan sagen. Und einige würden sich an die indianische Prophezeiung erinnern, die einer Umweltorganisation in den 1980er als Motto diente:

„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“

Goetz Bury_001    Der in Wien lebende Künstler Götz Bury hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Warnung zu widerlegen. In seiner „postapokalyptischen“ Koch-Show entkleidet er Geldscheine ihrer Idee und wendet sich der rein materiellen Seite zu: „ Wir haben hier Leinen und Baumwolle, also Ballaststoffe. Herrliche Ballaststoffe! Das Tollste, das es gibt! Da können wir Brot draus backen.“

Tatsächlich wäscht und zerkleinert Bury nun die Geldscheine, vermengt sie mit Germ und Wasser und bäckt daraus ein Brot. Wie schon bei den Snacks aus Sägespänen oder dem aus Molke gebrauten Bier darf das Publikum der „Neuen (schönen) Steinzeit“-Performance davon kosten. Nachschlag verlangt keiner. Womit gleich zweierlei bezeugt ist. Erstens: Geld kann man essen. Zweitens: Es schmeckt nicht gut.

Kein Wunder also, wenn sich Menschen in der Krisenzeit vermehrt beständigeren Reichtümern zuwenden: Solchen, die wohlschmeckend, leicht erreichbar und auf natürlichem Wege vermehrbar sind. Vielerorts entsteht ein neues Bewusstsein dafür, welche Vielfalt an Köstlichkeiten die Natur eigentlich zu bieten hat. Und das mitunter in unmittelbarer Umgebung, auch mitten in der Stadt.

Rettungsaktion mit Pflückstange

„Ich kenne den Park im Wiener Alten AKH seit ewig. Aber erst heuer, wo ich begonnen habe, mich für Obstbäume zu interessieren, ist mir der Quittenstrauch aufgefallen“, erzählt Andrea Meli. Sie behielt ihn im Auge. Die Quitten wechselten allmählich von flaumig-grün auf glatt-gelb. Dann fiel die erste zu Boden. Niemand kümmerte sich um die Früchte. Also schritt die aufmerksame Spaziergängerin Mitte Oktober zur Rettungsaktion. Behutsam, mit Hilfe einer Pflückstange. Denn schon längst wusste sie aus dem Internet, dass die „Kydonischen Äpfel“, Symbol für Fruchtbarkeit und Liebe, keine Druckstellen vertragen.Quitte_009

Andrea Meli glaubt, dass den Stadtmenschen das Wissen über so spezielle Obstsorten wie Quitten verloren gegangen ist. „Der eine oder andere nimmt vielleicht eine Quitte und beißt hinein und spuckt es aus, weil es hart ist und dir so richtig den Gaumen zusammenzieht.“ Sie spricht aus bitter-schmeckender Erfahrung. „Mich hat dann meine Großmutter aufgeklärt, dass man die Quittensorten, die es in unseren Breiten gibt, erst kochen muss und was für leckere Sachen man daraus machen kann.“ – Nun, 20 Jahre nach dem Tod der Großmutter, geht sie es zum ersten Mal selbst an:

Sie schneidet die Quitten zu Würfeln und kocht sie in einer Mischung aus Orange, Wasser und Wein aus. Ein Passiersieb trennt dann Saft und Fruchtmus. Das eine verwandelt Meli in ein rubinrotes Gelee, das andere – verfeinert mit Zimt, Kardamon und Nelken – in einen orangefarbenen Quittenkäse (auch Quittenbrot oder Membrillo genannt). „Ich esse das zurzeit fast überall dazu, in erster Linie zum Käse, zum Brie, traumhaft! Aber auch zu Fleischgerichten. Der volle fruchtige Geschmack wirkt auf mich wie ein Antidepressivum.“

Nicht nur in der Stadt ist Wissen um seltene Obstsorten in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen. „Jedes Kind kennt heute Bananen, aber Kriecherln kennt es nicht“, stellt Hermann Rogner aus Roiten bei Rappottenstein fest. „Dabei wächst das eine Weiß-Gott-Wo und das andere direkt vorm Haus.“ So ändert sich in der globalisierten Welt mitunter die Perspektive: Das Regionale ist das Exotische von heute.

Bockshoden, Flüder und Brunellen

Hermann Rogner betreibt auf seinem Hof eine mehrfach ausgezeichnete Brennerei, in der ein delikater Kriecherl-Brand destilliert wird. Zudem verarbeiten seine Frau Hermine und er die fruchtigen heimischen Kriecherln auch zu Nektar, Marmeladen und Essig. – Kriecherln? Darunter versteht ein großer Teil der Österreicher die Früchte einer Wildpflaumenart, die im deutschen Sprachraum auch als Mirabellen, Krellen, Bockshoden, Ziparten, Kritzschken, Fluder, Flüder, Rosspflaumen, Scheißpflaumen, Augustkirschen, Priester oder Brunellen herumhängen. Wobei das gelbe Waldviertler Kriecherl streng genommen keine einheitliche Sorte darstellt, sondern eher einen Formenschwarm in dieser bunten Sippschaft.

Rogner_013   Einen Schwarm, der im Waldviertel seit gut 6.000 Jahren beheimatet ist und die Kultur der Gegend mitgeprägt hat. Rogner: „Früher sind vor jedem Hof zwei, drei Kriecherlbäume gestanden und jeder hat seinen Schnaps daraus gebrannt. Heute gibt es ganze Dörfer, wo kein einziger Kriecherlbaum mehr steht.“ Der Verein „Waldviertler Kriecherl“ will das ändern: Alte Baumbestände sollen gerettet und gepflegt, neue angepflanzt, die Früchte durch Verarbeitung aufgewertet und zum kulinarischen Aushängeschild einer österreichischen Genuss-Region werden.Kuerbisfest am Himmel003

Gegessen oder getrunken zu werden ist für so manche Nutzpflanze die einzige Chance, um zu überleben. Mit dem „Waldviertler Waldstaudekorn“ und der „Waldviertler Schlehe“ bemühen sich in der Region zwei weitere interessante Kandidaten um das vom Lebensministerium vergebende Label der „Genuss Region Österreich“. Rund 110 auf diese Weise anerkannte Spezialitäten gibt es in Österreich bereits, wobei die Bedingung der „Ursprünglichkeit“ leider nicht auch die des biologischen Anbaus beinhaltet. Spezielle Auftritte haben die Regional-Marken auf Bauernmärkten und Messen oder bei diversen Events wie z. B. Mittelalter- oder Erntedankfesten. So präsentierten sich unlängst beim Wiener „Kürbisfest“ gleich fünf steirische Genuss-Regionen: Vulkanland-Schinken, Grazer Krauthäupl, Steirischer Kren, Steirischer Apfel und Steirisches Kürbiskern. Nächstes Ziel für die österreichischen Genuss-Regionen ist laut Ministerium das EU-Herkunftslogo.

Dirndl & Hollerblüten

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Keine offizielle Bestätigung für seine Einzigartigkeit braucht das „Blühende Konfekt“, welches der Wiener Michael Diewald und seine „Confectricen“ in der Schmalzhofgasse 19 im sechsten Wiener Gemeindebezirk in Handarbeit herstellen: Schokolade und Marzipan in ungewöhnlichen Kombinationen mit Blüten und Kräutern, die der passionierte Wildpflanzensammler Diewald nicht nur auf Wiesen und Feldern pflückt, sondern auch mitten in der Stadt, zum Beispiel Flieder oder Minze beim Wienfluss-Radweg, Kirschblüten am Betriebsgelände des Westbahnhofs oder Walderdbeerblüten vom Dachgarten des Wohnprojekts Sargfabrik.

Bluehendes Konfekt__003   Im Herbst kommen neben den Blüten und Kräutern auch Wildfrüchte in die exquisiten Konfekt-Stücke, „weil sie so ein schräges Aroma haben“. So befinden sich in den Fruchtkonfekt-Bonbonnieren so aufregende Geschmackskompositionen wie  Preiselbeere & Wildthymianblüten, Dirndl & Hollerblüten, Sanddorn & Orangenminze, Eberesche & Rose oder Schlehe & Limette.

Michael Diewalds Vision, ganze Städte und Regionen in Konfekt zu verwandeln, könnte von Menschen, welche die Kakaoflüsse und Zuckerberge aus Tim Burtons Film „Charlie und die Schokoladefabrik“ vor Augen haben, missverstanden werden. Es geht ihm nicht um eine Weltverzuckerung. Sein Interesse liegt darin, sich von neuen Umgebungen anregen zu lassen und gemeinsam mit Stadtökologen, Biobäuerinnen und professionellen Feinschmeckerinnen vor Ort die besonderen regionalen Aromen zu entdecken.

http://www.bluehendes-konfekt.com 

                                            „Kürbis(s)fest mit knisterndem Erdäpfel-Laub“

Die Quitten-Liebhaberin Andrea Meli interessiert sich nicht nur für wildwachsende Köstlichkeiten im Stadtgebiet, sondern auch für gemeinsames Kochen und Essen. Diese Praxis, die in Wohngemeinschaften, sozialen Projekten und Volxküchen schon seit längerem üblich ist, hat nun auch die Mittelschicht erreicht. In der kalten Jahreszeit trifft sich Meli jeden Sonntag mit einem Dutzend Freundinnen und Freunden zur fröhlichen und kreativen Küchenarbeit. Das Ergebnis wird festlich verspeist und auch poetisch dokumentiert z.B. als „Kürbis(s)fest mit knisterndem Erdäpfel-Laub“.

Familienersatz? „Vielleicht. Oder sagen wir: Ersatz für das Familien-Klischee. In Wirklichkeit schaffen es ja immer weniger Familien, zum Essen zusammen zu kommen.“ Melis sonntägliche Wahlverwandtschaft ist jedenfalls verlässlich. Wer welche Zutaten beisteuert, wird im Vorfeld über Facebook ausgehandelt – die Bedingungen: regional, saisonal und biologisch. Geldscheinbrot kommt hier keines auf den Tisch. Quitte_004

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