„Das Auto vor der Haustür ist das Kernproblem!“

Am 2. 11. fand im Filmcasino im Anschluss an die Vorführung der Dokumentation Global Shopping Village (wir berichteten) eine interessante Podiumsdiskussion statt – Hier ein paar Zitate, ein Exkurs über das verkommene Stadt-Parterre von Wien und ein Manifest für eine gartengerechte Stadt, Zahlen zum Öffentlichen Raum und Links 

ShoppingCenter-Entwickler Thomas Kronsteiner in GlobalShoppingVillage

ShoppingCenter-Entwickler Thomas Kronsteiner in GlobalShoppingVillage

Da am Podium der bekannte Verkehrsexperte Hermann Knoflacher saß, kam gleich am Anfang der Diskussion umweglos eines der Kernprobleme zur Sprache: der Automobilismus. „Shoppingcenter dieser Art sind das logische Ergebnis hoher Geschwindigkeit zu billigen Preisen. Und die Folge einer Bauordnung, genauer gesagt eines Paragraphen aus der Bauordnung aus dem Jahr 1939. Das heißt, sie sind eine Funktion der Auto-Abstellplätze.“

Kleiner Exkurs: Die sogenannte Stellplatzverpflichtung der Wiener Bauordnung besagte bis vor kurzem, dass pro Wohnung (unabhängig von Größe und Bedarf) ein KFZ-Stellplatz errichtet werden müsse. Nach einer Novellierung am 30. Juni 2014 muss dies nun pro 100 Quadratmeter Nutzfläche geschehen. Was das Problem nur minimal entschärft. Und auch an den ungleichen Spielregeln nichts ändert, denn…

Knoflacher: „Shoppingcenter sind massiv subventioniert von der Öffentlichkeit, das heißt jeder Abstellplatz bei einem Shoppingcenter wird von der Öffentlichkeit, von uns allen mit mehreren hundert Euros monatlich bezahlt. Die Shoppingcenter machen ein Mordsgeschäft damit.“

1 ArbeitsPlatz im ShoppingCenter vernichtet 5 ArbeitsPlätze im EinzelHandel

ShoppingCenter-Entwickler und die von ihnen verbal oder pekuniär überredeten Bürgermeister erzählen gerne das Märchen von der Arbeitsplatzvermehrung durch Einkaufszentren. „Wir haben untersucht, wie viele Menschen werden bei gleichen Umsätzen und gleichen Warenprofilen in einem Shoppingcenter beschäftigt und wie viele in den Geschäften der Innenstadt, sofern es die noch gibt. Das war eine ziemlich detaillierte Diplomarbeit und da zeigt sich: Ein Arbeitsplatz im Shoppingcenter vernichtet fünf Arbeitsplätze im Einzelhandel.“stadtparterre 1910

Großer Exkurs: Das erzählte unlängst auch der Verkehrsexperte Harald Frey in der Veranstaltungsreihe Stadträume gestalten am Institut für Europäische Ethnologie und verwies auf eine aktuelle Arbeit der Stadtplanerin Angelika Psenner (TU Wien), die in den letzten zwei Jahren die Stadtparterre-Gestaltung in Wien untersuchte. Die berühmten Gründerzeithäuser Wiens dienten oft sowohl dem Wohnen als auch dem Arbeiten. Die Erdgeschoße, Keller und Innenhöfe gehörten früher dem Handel und Gewerbe, den Manufakturen und Gastbetrieben, und waren ein wesentlicher Teil des gemeinsamen Stadtlebens. Heute halten diese Bereiche zunehmend als Mini-Garagen, Materiallager oder Müllräume her. Und die Straßen sind vom öffentlichen Aufenthaltsbereich zu Verkehrsdurchzugsräumen und Parkzonen degradiert worden.stadtparterre-2014

Zur Orientierung ein wenig Statistik: Obwohl 40 Prozent der Wiener Haushalte kein Auto besitzen und nur noch 29 Prozent der täglichen Wege in Wien mit dem Auto zurückgelegt werden, beansprucht der Autoverkehr 80 Prozent des öffentlichen Raums (VCÖ 2012). Ein Pkw hat zum Parken 14 Mal mehr Platz zur Verfügung als ein Kind zum Spielen am Spielplatz, stellt der VCÖ fest, wobei dazukommt, dass der Spielplatz in der Regel nicht vor der Haustüre ist. Oder: Den 2.000.000 Quadratmetern für Parkplätze im öffentlichen Raum (H. Frey) stehen zum Beispiel bescheidene 35.000 Quadratmeter für Gemeinschaftsgärten gegenüber ( – die Zahl über die Gartenflächen stammt aus diesem Artikel der Gruppe Roter Mangold: http://www.social-innovation.org/?p=5210).

Anstelle einer autogerechten Stadt eine gartengerechte Stadt

Der letzte Vergleich ist nicht zufällig. Er nimmt die Forderung des unlängst von deutschen Gartenaktivistinnen veröffentlichten Urban Gardening Manifests nach einem Paradigmenwechsel von einer „autogerechten“ zu einer „gartengerechten“ Stadt ernst und das könnte in Wien unter anderem auch heißen, den Autos die eine und andere Straße samt Parkplätzen wegzunehmen und in Gartenstraßen zu verwandeln. – Dazu demnächst mehr auf diesem Blog.DSC_0249

Doch zurück in die Welt, in der zum Shoppen ein SUV vor der Tür wartet. Zurück zur erwähnten Podiumsdiskussion anlässlich der Dokumentation Global Shopping Village. Bei der kam nicht zuletzt „die allzu beugsame österreichische Raumplanung“ (Moderator Wojciech Czaja) zur Sprache. „Es fehlen die Rahmenbedingungen“, fasste die Raumplanerin Sybilla Zech das Dilemma zusammen. „Die Rahmenbedingungen aus der Bauordnung, wie der Kollege Knoflacher gesagt hat. Die Rahmenbedingungen der Wohnbauförderung, welche derzeit die Zersiedelung weiter fördert. Und es fehlen natürlich auch auf der Länderebene verbindliche Festlegungen, was den Umgang mit Agglomerationen unterschiedlicher Art anbelangt. Wir haben in Österreich nirgendwo ein Einzelhandels-Konzept von der Raumordnung. Wir haben sogenannte Raumpläne für Einkaufszentren, das sind aber immer Einzelbetrachtungen. Es gibt kein Gesamtbild, wie wir mit Einkaufszentren und EinkaufsAgglomerationen umgehen.“

Die Bürgermeister seien mit dem Thema überfordert, meinte Stephan Mayer-Heinisch, Obmann des Austrian Council of Shopping Centers, aber für die Zersiedelung Österreichs „sollte man nicht einzelne Industrien wie die Shoppingcenter-Industrie und den Einzelhandel verdammen“.

Die Filmemacherin Ulli Gladik: „Also ich hab schon den Eindruck gewonnen, dass die Politik der verlängerte Arm der Wirtschaft ist, und zwar der Wirtschaft, die sich ein entsprechendes Lobbying leisten kann, also der großen Konzerne. Und ich habe auch den Eindruck gewonnen, dass die Politik nur dann was macht, das für alle gut ist und uns nicht so enorme Kosten verursacht, wenn es entsprechend Druck von unten gibt.“DSC_0007

Raumplanerin Zech gab noch ein anderer Aspekt des Films zu denken, und zwar „die Aussage von einigen der Entwickler, dass sie jetzt vermehrt die Urbanität  in diese Einkaufszentren holen möchten, also die Kultur und die Kunst und das Wohnen sogar. Das ist ja sozusagen ein Umdrehen der Geschichte, dass aus diesen urbanen Fragmenten, dieser Agglomeration von Einzelhandel jetzt plötzlich europäische Innenstadt oder ein Stadtteilzentrum hereingeholt wird, das schaukelt dann ja die Schwierigkeiten noch gegenseitig auf.“

Shopping-Center-Obmann Mayer-Heinisch, in diesem Rahmen naturgemäß auf verlorenem Posten, verteidigte noch einmal das Wirtschaften seiner Branche und appellierte an die Selbstverantwortung der Konsumentinnen. „Wir haben doch ein Land, wo jeder machen kann, was er will, und ob er in die Wiener Innenstadt geht oder in die SCS fährt, das ist eine Frage der Wahl. Also ich find die Kritik ein bisserl übertrieben und find, man sollte die Kirche im Dorf lassen.“

„Die Kirche ist ja auch im Dorf und nicht außerhalb, auf der grünen Wiese“, konterte Hermann Knoflacher, um dann wieder geradlinig das Kernproblem anzusteuern: „Und die Wahlfreiheit ist weg, wenn das Auto vor der Haustür steht. Wenn das Auto vor der Haustür steht, denkt man immer an den Parkplatz am Ziel und sieht nicht mehr die Geschäfte in der Nähe. Das ist das Kernproblem.“

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Der Weg ins Kino zur Dokumentation Global Shopping Village findet sich hier: http://www.globalshoppingvillage.at/?nID=68

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