RECHT AUF MARMELADE! Der Augustin-Artikel

(Dieser Artikel steht in seiner Kurzversion im aktuellen Augustin – Text: Peter A. Krobath, Fotos: Milena Krobath und P.A.Krobath)

Stadtfrucht Wien und Kuserutzky Klan starten im Rahmen der Wienwoche 2013 eine Petition für Obstbaum-Commons in Wien – unter anderem mit einer JAM-TRAM.

Recht auf Marmelade 2

Mit ihren Früchten haben sich die Pflanzen etwas Großzüges einfallen lassen. Und etwas Raffiniertes. Sie bringen die Tiere und Menschen dazu, eine Aufgabe für sie zu übernehmen, die sie selbst nicht so gut erledigen können: Ihre Gene zu verbreiten. Bestimmte Pflanzen sind für uns Menschen also so unwiderstehlich geworden, so nützlich und so schmackhaft, dass wir sie aussäen, pflegen, transportieren oder besingen. Oder sogar Petitionen für sie formulieren und unterschreiben – darüber gleich mehr.

Die Arten-Einfalt des globalen Markts

Der koevolutionäre Tauschhandel zwischen Pflanzen und Menschen ist nur ein Strang  im komplexen Weltgeschehen. Der globale Markt kann die vielseitigen Verführungen der Pflanzenwelt nicht normieren und daher nicht kontrollieren und verwerten, also konzentriert er sich (mit Hilfe genetischer Eingriffe) auf ein paar wenige Grundreize. Zum Beispiel auf den Zuckergehalt beim Apfel. Die Folge: Gab es bei Äpfeln vor einem Jahrhundert noch über siebentausend verschiedene Sorten im Handel, haben heute die meisten Äpfel in den Regalen dieselben fünf oder sechs Eltern.

DSC_0026„Warum im Supermarkt Pestizid-Obst aus fernen Ländern kaufen, wenn Bio-Obst ganz in der Nähe auf den Bäumen verfault?“ lautete die rhetorische Frage, mit der die Gruppe Stadtfrucht Wien im Frühjahr 2012 ihre Tätigkeit begann. Sie machte auf diese regionale Nahrungsressource aufmerksam, veranstaltete Informations- und Ernte-Touren. Mit dem Augenmerk auf Peak Oil und die dadurch bevorstehenden Veränderungen in der Nahrungsmittelproduktion kam im Herbst 2012 die Forderung dazu, vermehrt Obstbäume im öffentlichen Raum zu pflanzen – am besten alte, seltene Sorten. Durch die Unterschriften-Petition „Recht auf Marmelade!“ im Rahmen der Wienwoche 2013 soll das Thema nun den Weg in den Gemeinderat finden.

Keine Angst vor Obstbäumen!

In Wien sind in der Regel folgende zwei Institutionen für Baum-Angelegenheit zuständig: In den äußeren Grünbereichen die MA 49, das Amt für Forst- und Landwirtschaft, auf den städtischen Grünflächen die MA 42, das Stadtgartenamt. Die MA 49 zeigt sich gegenüber Obstbäumen aufgeschlossen, pflanzte z. B. in den letzten 20 Jahren im Wienerwald gezielt Elsbeeren, Speyerlinge und Vogelkirschen und betreut seit Ende der 1970er Jahre den mit rund 1.300 Obstbäumen größten öffentlichen Früchtegarten Wiens, die Steinhofgründe – die Reste der einstigen Selbstversorgungs-Anlage des Otto-Wagner-Spitals, mit 25 alten Apfelsorten, 12 Zwetschgensorten, acht Marillensorten und sieben DSC_0470Birnensorten.

Im Gegensatz zu vielen anderen der in Wien verstreuten Obstbäume haben die von Steinhof bereits ihre Pflückerinnen gefunden. „Von der älteren Dame bis zur Migrantenfamilie wird das genutzt“, erzählt der zuständige Förster. „Der eine nimmt sich ein paar Äpfel, der andere pflückt einen, weil er grad einen essen will, wieder andere rennen mit zwei vollen Sackerln raus, und in der Nacht kommt der Dachs und frisst so viel, dass er gar nicht mehr in seinen Bau passt.“

Wenn durch die Obstpflücker hie und da ein Ast abbricht, sieht man das beim Forstamt als „eine Art von natürlichem Baumrückschnitt“. Für die Verantwortlichen des Stadtgartenamts ist es hingegen ein ernstes Problem. Und überhaupt: Auch das Obst selbst würde die städtischen Grünanlagen „verschmutzen“ und wenn es fault zu einer Geruchsbelästigung und einer Wespenbedrohung führen und alles drei die Bürger und Bürgerinnen verärgern, hieß es, als die Initiative Stadtfrucht Wien und die Künstlerinnen des Kuserutzky Klans im Herbst 2012 im Rahmen der Wienwoche Obstbäume im öffentlichen Raum pflanzten. Oder es zumindest versuchten. (Mehr HIER)

Der öffentliche Raum als Commons

Den Ängsten der MA 42 vor Obstbäumen setzten die Aktivistinnen folgenden Vorschlag entgegen: Die Obstbäume in der Stadt werden als Commons behandelt. Gruppen von interessierten Anrainerinnen kümmern sich um die Pflege und um das von Passantinnen nicht geerntete Obst. – Die leitenden Personen des Stadtgartenamts ignorierten diesen Vorschlag und drohten mit Anzeigen. Sie scheinen an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema nicht interessiert. Noch nicht.

20120924-IMG_2663Entscheidet eine Institution wie das Stadtgartenamt monopolartig über die Gestaltung der städtischen Parks und Grünflächen? Wer bestimmt eigentlich, was im öffentlichen Raum von Wien geschieht? Und wenn das nicht die Öffentlichkeit ist, ein soziales Aushandeln derjenigen, welche einen bestimmten Ort nutzen, können wir dann überhaupt von einem öffentlichen Raum sprechen? Für die Künstlerinnen des Kuserutzky Klans hat das Projekt „Recht auf Marmelade!“ nicht nur eine kulinarische Bedeutung: „Obstbäume sind ein ideales Medium, um die Machtverhältnisse im städtischen öffentlichen Raum sowie den basisdemokratischen und ökologischen Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen zu thematisieren.“ Und: „Die Obstbäume könnten uns ständig daran erinnern, dass so ein Reichtum-für-alle in allen Bereichen möglich ist und wir ihn einfordern, erkämpfen und aufbauen sollten.“

Im Rahmen der Wienwoche 2013 setzen sich der Kuserutzky Klan und Stadtfrucht Wien nun mit der Unterschriften-Petition „Recht auf Marmelade“ dafür ein, dass zehn Prozent der rund 2.000 Bäume, die das Stadtgartenamt im Jahr pflanzt, Obstbäume (alte, seltene Sorten) sein sollen, und Bürgerinnen die Möglichkeit bekommen sollen, sich als Baumpat_innen um die Obstbäume in ihrer Nähe selbst zu kümmern. Bei der Querfahrt mit einer JAM-TRAM wird u. a. das Ende des Kapitalismus betrauert (Maren Rahmann) und mit Obst musiziert (Helge Hinteregger).

Warum „Recht auf Marmelade“? Der Titel ist ein direkter Verweis auf die „Recht auf Stadt“-Bewegung, die ein neues Verständnis von Urbanität hat und einfordert. Und die Marmelade ist im Zusammenhang mit Früchten das beliebteste Subsistenz-Produkt. Marmelade steht für eine Kultur von Selbermachen und Schenken. Sie ist ein Nahrungsmittel, das nicht ganz dem marktwirtschaftlichen Verwertungsprozess unterworfen ist.

Die JAM-TRAM bei der WienWoche (Teilnahme kostenlos, aber mit ANMELDUNG!)DSC_0141

Im Rahmen der WienWoche 2013 (12. bis 29. September) werden die Aktivistinnen von Stadtfrucht Wien und Kuserutzky Klan unter anderem mit einer gemieteten Straßenbahn auf ihre Petition „Recht-auf-Marmelade! Obstbaum-Commons für Wien“ aufmerksam machen. In dieser JAM-TRAM wird nicht nur Marmelade („Jam“) verkostet, sondern auch frei musiziert (also „gejammt“), u. a. mit Hilfe von Obst (Helge Hinteregger).

Reiseleiterin Maren Rahmann erzählt im Vorbeifahren die eine und andere historische und aktuelle Obst- und Gemüsegeschichte und macht sich Gedanken über Wien im post-fossilen Zeitalter. Am Donaufeld erwartet die Besucher_innen ein Marmelade-Schenkmarkt (in Kooperation mit der Gruppe SoliLa!, die hier im Mai 2013 ein brach liegendes Feld besetzte und begärtnerte – mehr HIER) samt einer überraschenden Rede von Stadtrad Ludwik.  – Teilnahme ist kostenlos, da die Plätze beschränkt sind, bedarf es aber einer Anmeldung: peter-krobath@chello.at

Samstag, 21.9. 2013

Tour 1: Karlsplatz – DonaufeldDSC_0162

Start 14.00 Uhr, Haltestelle Karlsplatz (beim Otto-Wagner-Pavillon), weitere Einstiegsstelle: 14.20 Uhr Haltestelle Taborstraße, Richtung stadtauswärts (bei U-Bahn-Station)

DSC_020015–17.00 Uhr: Marmelade-Schenkmarkt

1210, Donaufeld, Ecke Drygalskiweg/Weinwurmweg (Wem das möglich ist, der oder die bringt eine Marmelade zum Verschenken mit – im Idealfall selbstgemacht und mit Rezept)

Tour 2: Donaufeld – Karlsplatz

Start 17.00 Uhr, Haltestelle Prandaugasse (Richtung Floridsdorf), weitere Einstiegsstelle: 17.14 Uhr Floridsdorf (bei U-Bahn-Station)

Anmeldung für die Touren unter peter-krobath@chello.at

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Die PETITION „Recht auf Marmelade! – Für Obstbaum-Commons in Wien“ liegt derzeit an folgenden Orten zur Unterschrift auf:

Aktionsradius Augarten, 20. Gaußplatz 11

Buchhandlung Riedl, 8. Alserstraße 39

Genussbuchhandlung Tiempo Nuevo, 2. Taborstraße 17a

Mittendrin (VinziRast), 9. Währinger Straße 19

ÖGB-Fachbuchhandlung, 1. Rathausstraße 21 (Nähe NIG)

Vegetarisches/Veganes Restaurant LANDIA, 7. Ahornergasse 4 (Nähe Neubaugasse U3)

„Der Wert der Städte bestimmt sich nach der Zahl der Orte, die in ihnen der Improvisation eingeräumt sind“

Siegfried Kracauer

Comments
One Response to “RECHT AUF MARMELADE! Der Augustin-Artikel”
  1. Anonymous sagt:

    Hallo Leute, finde den Grundgedanken super, aber ich sehe immer noch zu viele Obstbäume wie Mirabellen (Kriecherl), Nüsse, Haselnüsse, etc. bzw. Stauden (Holunder) bei mir im 23., die kein Mensch aberntet.

    Außerdem sind manche Gartenbesitzer gerne bereit ihr Obst mit anderen zu teilen. Habe heuer zweimal gratis Kirschen bei fremden Leuten in meiner Nähe gegessen.
    Ich denke, dass man dies organisieren und institutionalisieren sollte, so dass der Gast beispielsweise ein kleines Geschenk mitbringt und auch seine Identität belegt, so dass er auch sein Verantwortungsbewusstsein für den Baum bzw. den Garten beweist.
    Das heißt, zusätzlich zu den Homepages wie „www.mundraub.org“, Fruchtliege, etc. könnte es einen Verein mit Homepage geben, der die potentiellen Bittsteller mit den Anbietern verbindet, wobei das größere Vertrauen und die engere Beziehung den Unterschied macht.
    Nicht alle können sich vorstellen wildfremde Menschen in ihren Garten zu lassen weil man ja nie weiß wer das ist bzw. was der/ die dann sonst noch so will. Aber im Falle der Ausweispflicht und Hinterlegung der Identität (Kopie des amtlichen Lichtbildausweises) und einem kleinen möglichst persönlichen Gastgeschenk wird die Sache persönlicher und somit freundschaftlich.

    LG. Helmut

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